Vattenfall und die Stromabrechnung: Wir können auch absurd

Wie ein Mix aus gesetzlicher Verpflichtung, unbekannten Studien, zweifelhaften Verbrauchssannahmen und widersprüchlichen Kundeninformationen zu einem Mehrgewinn für Vattenfall führt.

Nachdem mein höchstpersönlicher Besuch bei Vattenfall zu keiner Klärung der unstimmigen Stromrechnung geführt hatte, versuchte ich es letzte Woche dann doch noch telefonisch beim Kundenservice. Vielleicht könnten sie mir dort erklären, wie die Summen in der Abrechnung zustande gekommen waren.

Selbst Mitarbeiter verstehen die Rechnung nicht

Aber leider: In einem fast 30-minütigen Telefonat (von dem ich 75% der Zeit in der Warteschleife verbrachte) konnte mir weder eine Mitarbeiterin des Kundenservices noch der Buchhaltung helfen, die von Vattenfall abgerechneten Summen zu verstehen. Spontan war es den Mitarbeitern selbst nicht erklärlich.

Ich bat um eine schriftliche Erklärung. Später am selben Tag erhielt ich per e-Mail eine Antwort von einem Mitarbeiter von der Buchhaltung bei Vattenfall, die nur neue Fragen aufwarf.

Eine ominöse „Verpflichtung zu Verbrauchssannahmen“

Darin heißt es:

„Die Energieversorgungsunternehmen sind nach §12 Absatz 2 …(der StromGVV)… verpflichtet, die jahreszeitlichen Schwankungen im Stromverbrauch zu berücksichtigen. Damit soll eine möglichst wirklichkeitsnahe Aufteilung Ihres Gesamtverbrauches erreicht werden.“

und dann weiter:

„Die Gewichtungswerte wurden im Rahmen eines Forschungsauftrages durch gezielte Verbrauchsmessungen in Haushalten mehrerer Energieversorgungsunternehmen ermittelt. Die so festgelegten Gewichtungswerte geben einen durchschnittlichen prozentualen Verbrauch je Kalendertag und -monat wieder.“

Daraufhin bat ich Mitte letzter Woche den Pressesprecher von Vattenfall Berlin mir Informationen zu den Studien zu schicken. Leider liegen sie mir noch nicht vor.

Zur Erläuterung: Die Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) regelt die allgemeinen Bedingungen der Stromgrundversorgung. Der Originaltext der Verordnung (bei Vattenfall online) weist aber einen kleinen, aber feinen Unterschied auf.

In der StomGVV steht im §12 Absatz 2:

„…jahreszeitliche Verbrauchsschwankungen sind auf der Grundlage der für Haushaltskunden maßgeblichen Erfahrungswerte angemessen zu berücksichtigen….“

Ich frage mich, ob es den hundertausenden Kunden angemessen ist, wenn sie aufgrund nicht bekannter Studien über einen Kamm geschoren werden? Und: Sind die Privatverbräuche im Winter wirklich deutlich höher als im Sommer? Im Zeitalter von Energiesparlampen und gut wärmegedämmten Wohnungen erscheint mir das als ein Anachronismus.

Vergleicht man das mit anderen Branchen wirkt diese Praxis ebenfalls seltsam.

  • Zum Beispiel der öffentliche Nahverkehr: Die Preise für Monatstickets werden im Winter nicht teurer, obwohl die Nachfrage für die angebotenen Dienstleistungen zunimmt. Selbst wenn anzunehmen ist, daß die Betriebs- und Nebenkosten der Transportunternehmen in den Wintermonaten ansteigen.
  • Seltsam auch, weil es eine Bedarfsüberdeckung an Elektrizität gibt. Seit den 90ern hat sich die BRD zu einem Stromexporteur entwickelt. Im Jahre 2010 wurden alle Rekorde gebrochen und riesige Mengen Elektrizität exportiert. Selbst im Winter gibt es ein Überangebot. Diese gewichtete Preisgestaltung ist demnach nicht wirklich Bedarfsdeckungsorientiert und sie verzerrt das Prinzip von Angebot und Nachfrage.

strommasten

60 Stunden täglich mehr Küchenlicht

Zweifelhaft deshalb, weil nicht pauschal für alle Kunden von einem höheren Stromverbrauch auszugehen ist. Aus meiner Rechnung ermittle ich einen um 0,8kWh höher angesetzten Verbrauch pro Tag. Dies entspricht in meinem Fall ca. 60 Stunden eingeschalteter Küchenbeleuchtung täglich. Oder täglich einer Stunde Staubsaugen. Nur weil Winter ist?

Ein paar Stunden mehr Licht mögen sein, auch, dass manch einer sich im Winter die Haare öfter föhnen muss. Aber egal, wen ich gefragt habe: 80% der Befragten schätzen ihren Stromverbrauch im Sommer gleich hoch oder sogar höher ein.

Ob es nun der Kühlschrank ist, dessen Motor mehr leisten muss, die Waschmachine die häufiger läuft, oder – wie in meinen Fall – der Ventilator, der ab Mittag erforderlich ist, um es in meinen Wohnräumen halbwegs erträglich zu machen.

Schlechte Beratung und widersprüchliche Kundeninformationen

Wieviele Kunden die AGB insklusive Stromgesetz wirklich lesen ist mir nicht bekannt. Eine Rechnung sollte aber ohne Hilfe dieser Texte nachvollziehbar sein.

Es genügt nicht im entferntesten den Ansprüchen an Transparenz und Eindeutigkeit, wenn der Stromverbrauch nach nicht genannten Werten berechnet wird. Auch wenn in den AGBs auf den entsprechenden Paragraphen im gültigen Gesetz verwiesen wird. Es fehlen einfach Zahlen, um als Kunde diese Rechnung überprüfen zu können.

Fragt man kritisch nach, heißt es, man könne doch seine Zählerstände übermitteln, damit die Rechnung genauer gestellt wird.
Versucht man als Kunde genau das, wird das mit der Begründung abgelehnt, dass man übermittelte Zwischenstände nicht in der Berechnung des Stromverbrauchs berücksichtigen könne.

Gelingt es dem Kunden den geringeren Verbrauch nachzuweisen, besteht laut StromGVV §12 Abs.3 die Möglichkeit, die pauschale Abrechnung zu vermeiden. Wie man aber diesen Nachweis führen kann, bleibt bei Vattenfall ein Rätsel.

Wir können auch absurd

Um es deutlich zu machen, möchte ich zum Schluß aus der e-Mail zitieren, die ich letzte Woche von der Vattenfall-Buchhaltung erhielt. Dort heißt es:

„… die Entgegennahme von selbst abgelesenen Zählerständen ist nicht ohne erheblichen Zeit- und Kostenaufwand möglich. Daher wird ein Gewichtungsverfahren angewendet. …“

und etwas später in der selben Mail:

„…sind wir rund um die Uhr für Sie da, ob Sie nachts Ihren Zählerstand oder morgens Ihren Umzug mitteilen wollen. …“

Entbehrt nicht einer gewissen, absurden Komik.

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