Der Fall Ohnesorg ohne Ende

Im Sommer 1967 wurde während einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs in Berlin der Student Benno Ohnesorg erschossen und zwar von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras. Das ist lange her, ich selbst war zu dem Zeitpunkt gerade einmal vier Jahre alt. Und es ist heute unbestritten, Ohnesorg wurde aus nächster Nähe erschossen, man könnte auch sagen hingerichtet. Kurras dagegen wurde im Dezember 1970 endgültig von der Anklage der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Auch erneute Ermittlungen, die 2009 durch die Stasikontake Kurras‘ ins Rollen kamen, führten zu keiner Wiederaufnahme des Verfahrens.

Seit jeher liegt jedoch die Vermutung nahezu offen auf der Hand, dass bereits unmittelbar nach dem „Missgeschick“ umfangreiche Vertuschungsmaßnahmen in die Wege geleitet wurden. Wie anders wäre dieses zu werten:

Innensenator Büsch ordnete an, die zunächst für den 5. Juni angesetzte Obduktion vormittags am 3. Juni durchzuführen. Der obduzierende Arzt fand Prellungen und Hämatome am ganzen Körper.[37] Als Todesursache stellte er einen „Gehirnsteckschuss“ fest. Ein sechs mal vier Zentimeter großes Knochenstück der Schädeldecke mit dem Einschussloch war herausgesägt und die Kopfhaut darüber zugenäht worden. Der anwesende Rechtsanwalt Horst Mahler, damals SDS-Mitglied, deutete diesen Befund als Versuche, die Todesursache zu vertuschen. (Quelle: Wikipedia)

Dieser Tage schient sich wieder einmal ein neues Kapitel in dem kläglichen Nachspiel der Angelegenheit aufzutun. „Neue“ Beweise sind aufgetaucht, Fotos und Tonaufnahmen, bislang verschwundene Dokumente. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Aber ich bin ein solcher, ich wage zu vermuten, dass es sich um absichtlich verschwundenes Material handeln dürft. Aufgrund dessen lässt sich nun offensichtlich der Tathergang mehr als klar darstellen. Und es ergänzt  oder deckt sich weitgehend mit den im Prozess gemachten Zeugenaussagen.

Was in jener Nacht auf dem Hinterhof an der Krummen Straße geschah, lässt sich nun rekonstruieren. Entlarvt wird Kurras Behauptung, er habe lediglich einen Warnschuss abgegeben, weil er im Hof von einem „Mob“ eingekesselt wurde, von Männern, die „außer Rand und Band“ auf ihn eingeschlagen, mit Messern bedroht und versucht hätten, ihm die Pistole zu entreißen. Nicht etliche Meter entfernt, wie es das Gericht im Freispruch festhält, hat Kurras gestanden, sondern ist mit gezogener Pistole auf Ohnesorg zugetreten – unter den Augen seiner Kollegen.

Daran aber konnte sich 1967 und 1970 vor Gericht kein Beamter mehr erinnern. Schon unmittelbar nach dem Todesschuss fing die Vertuschung an; spürbar wurde ein Korpsgeist, der die Truppe bis hoch zum Polizeipräsidenten Erich Duensing durchzog. Kurras wurde von seinem Vorgesetzten sofort weggeschickt, der Abendschau das Filmen verboten, vor Gericht behauptete Kurras inzwischen verstorbener Vorgesetzter, er habe Kurras nicht am Tatort gesehen – das nun aufgetauchte Foto beweist das Gegenteil. Andere Beamte wurden entweder nicht als Zeugen vor Gericht vernommen oder behaupteten, sie seien nicht am Tatort gewesen. Ein Tonband, auf dem ein Befehl zu hören ist: „Kurras, nach hinten – schnell weg!“, wurde vom Gericht nicht gehört und verschwand später. (Quelle: Tagesspiegel)

Ein erschreckendes Stück Geschichte, erschreckend undurchsichtig, immer noch. Erschreckend ganz besonders auch angesichts der derzeit ebenfalls nicht gerade entspannten Lage in Berlin, in Deutschland, in Europa und überhaupt.

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