Ein Grund, warum ich mir nach 20 Jahren Kreuzberg und zwei Jahren Stadtflucht in Mecklenburg nun Friedrichshain als Wohnort aussuchte, war der morbide Charme seiner „unaufgeräumten Ort“. Die Viertel zwischen Frankfurter Allee und der Spree erinnerten mich an das Kreuzberg der wilden 80ger Jahre. Ich fühlte mich heimisch beim Anblick der Gerüste vor vielen Häuserfassaden und genoß die Spaziergänge Richtung Stralau und Rummelsburger Bucht, wo es noch viele ungestaltete Plätze gab, die mir in fußläufiger Entfernung wahre Erholung schenkten: viel sich selbst überlassenes Grün, Brachland und große alte Backsteinbauten, die lang schon niemand mehr nutzte.
Die Verwilderung, die eintritt, wenn der Mensch mit so mancher Räumlichkeit nichts mehr anzufangen weiß, befreit den Geist und entspannt das Gemüt. Wo niemand mehr „Ordnung schafft“ fühlt man sich entlastet und frei. Die Abwesenheit jeglicher Nutzungen, das „dräuende Nichts“ bevor Investoren und Stadtgestalter zuschlagen, macht den Charme solcher „unaufgeräumter Orte“ aus, von denen Berlin einmal viel zu bieten hatte.
Heute ist davon leider nicht mehr viel übrig. In meiner Gegend kann man nur noch ein einziges Areal als „wild und ungeordnet“ erleben: das Gelände der alten Glasfabrik am oberen Ende der Halbinsel Stralau. Wie ich gelesen habe, stehen die alten Fabrikgebäude unter Denkmalschutz.
Aber man wartet auch auf Investoren, will mitten im familienfreundlichen Edel-Wohngebiet „Gewerbe ansiedeln“, und sogar ein Parkhaus ist in Planung, obwohl bereits jetzt Mietparkplätze leer stehen. Vielleicht weiß ja jemand Genaueres über das, was da werden soll?
(diese Bilder zeigen bei Mausklick mehr!)
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