Raum- und Zeitschiffe: Über verfallende Gebäude

alte Glasfabrik auf StralauEinen bemerkenswerten Artikel über bemerkenswerte Orte schrieb Daniel Schaub im Abrissblog:

„Verschmelzungen“ handelt von „Räumen individueller und gesellschaftlicher Transformation“ und vermittelt mit seinem vor Substativierungen nur so strotzenden Soziologen-Jargon erstmal Fluchttendenzen. Und doch bleibe ich dabei, denn es geht um verlassene Gebäude, um Brachflächen und Stadtruinen, um all die Orte, die lange Zeit nicht gebraucht werden und mit ihrem Verfall eine interessante Abenteuerlandschaft mitten in der Stadt darstellen.

Schaub schreibt:

„Gebäude und Gebiete, die mit Prozessen des Verfalls und des Ausgegrenztseins zu beherrschen versucht werden, stehen exemplarisch und stellvertretend für eine generelle Entwertungslogik, die Menschen in der umfassend erodierten Arbeitsgesellschaft handlungsunfähig macht, sozial isoliert und stigmatisiert“.

Wie bitte? Will man tatsächlich „ein Gebäude beherrschen“ bzw. es versuchen, indem man es sich selbst überlässt und nicht nutzt? Das mag im Falle der Entmietung eines Wohnhauses stimmen, die den Raum für eine Modernisierung ebnen und die restlichen Mieter vertreiben soll. Aber doch nicht im Fall großer Fabrikgebäude, wie etwa der alten Engelhard-Brauerei auf Stralau, wo nach der Wende die Produktion eingestellt wurde. Wer jemals dieses Gebäude von außen und innen besichtigt hat, kann gut verstehen, dass es nicht leicht ist, dafür eine neue Nutzung zu finden. Böse Absicht? Herrschaftsallüren? Naja…

Friedrichshainpalast

Bezüglich der Beendigung der Produktion kann man das evtl. sagen, wenn man der Meinung ist, dass alle Produktionsstätten der ehemaligen DDR hätten erhalten werden sollen. Aber der Leerstand selbst ist m.E. nur der Ausdruck des Scheiterns angesichts einer Aufgabe, die riesige Investitionen allein fürs Gebäude bedeutet. Klar, dass es schwer ist, eine Nutzung zu finden, die die erforderlichen Aufwendungen auch mal wieder einspielt. Berlin hatte und hat unglaublich viele brach liegender Gebäude. Sie alle mittels Steuergeldern aufzufitten und in Kunst- und Kulturzentren umzuwandeln, kann nur jemand andenken, der sich geistig im Reich der Utopie aufhält, nicht auf dem Boden der Berliner Haushaltslage.

im Flaschenturm

„Diese zerrütteten Räume markieren Bruchstellen im Gesellschaftsgefüge – sie bilden die notwendigen Lücken, um individuelle und gesellschaftliche Verengungen und rigide Kategorisierungen zu durchqueren, indem freies, experimentelles Denken möglich wird. Randständige und verfallene Gebäude fungieren als eine Art Transfermedium – sie sind nicht einfach nur Boten, noch viel weniger einfach nur Botschaft, denn sie lassen das Spiel gegenseitiger Projektion zu. Diese Möglichkeit unverfälschter und uneingeschränkter Interaktion macht sie zu wertvollen Schätzen in einer vom Sicherheitswahnsinn geplagten Gesellschaft, die Vielfalt und Bewegungsoptionen unentwegt reduziert.“

In einfacheren Worten: Weil ich mir angesichts einer solchen „Stadtruine“ überlege, was man damit machen könnte, denke ich „frei und experimentell“ über vielerlei Möglichkeiten nach – stimmt! Ob das Gebäude dadurch aber wirklich als „Bruchstelle im Gesellschaftsgefüge“ fungiert, bezweifle ich, denn sobald ich damit beginne, eine Idee umzusetzen (mal angenommen, man lässt mich bzw. ich hätte die Mittel), befinde ich mich inmitten der ganz normalen „Verwertungslogik“ und muss zusehen, dass zumindest die Instandhaltungskosten durch meine Aktivitäten wieder rein kommen.

Mir wär es am Liebsten, man würde manche Gebäude einfach so lassen: gar nichts tun, außer vielleicht gelegentlich das Dach reparieren, damit es nicht ganz zusammen fällt.

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Ein Blog von: ClaudiaBerlin

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4 Kommentare

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